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Hans Ziegler, Rüschlikon, 15. Mai 1973 mit späteren Ergänzungen Mein Lebenslauf
Mein Grossvater väterlicherseits, Heinrich Ziegler-Schaeppi, ist, obwohl Spross eines der ältesten Winterthurer Geschlechter, ein armer Schuhmacherssohn gewesen und hat sich mit Hilfe von Stipendien, die man damals noch als ehrenvolle Darlehen betrachtete, zum praktischen Arzt emporgearbeitet. Seine Frau Louise hat ihm nicht nur den Haushalt, sondern auch die Praxis geführt. Daneben war sie in der Literatur ebenso heimisch wie ihre Schwester Sophie Schaeppi in der Malerei, und in ihrem Nachlass finden sich neben Prosastücken anmutige und zum Teil wohl auch wertvolle Gedichte.
«Unsere Mutter, Clara, stammte aus der Tösstaler Fabrikantenfamilie der Nussberger.»
Unsere Mutter, Clara, stammte aus der Tösstaler Fabrikantenfamilie der Nussberger. Sie war das jüngste Kind aus zweiter Ehe und ist schon im Vorschulalter Vollwaise geworden. Wie mein Grossvater, so wählte auch mein Vater den Arztberuf. Er hatte aber ausgesprochen technische Neigungen, und so war es denn kein Zufall, dass er sich als Unfallspezialist etablierte und während Jahrzehnten der einzige Röntgen-Diagnostiker in Winterthur war. Im sogenannten «Hohen Haus» am unteren Ende der Museumstrasse, das zwar heute seinen Namen nicht mehr verdient, nach unserem Wunsch aber noch immer ein Haus der Ärzte ist, haben wir Geschwister eine glückliche Jugend verlebt, und unsere Erziehung ist dabei in starkem Masse durch eine Praxishilfe und eine Hausangestellte mitbestimmt worden: Ida Oertli und Kathri Rüedi, Bauerntöchter aus dem Zürcher Weinland und aus dem Klettgau, beide aus bestem Gotthelfschem Holz geschnitzt.Meine seitherige Entwicklung hat, wie es scheinen mag, stark vom Zufall abgehangen. Mein Vater, der nebenbei Fabrikarzt in der sogenannten «Loki» war, sah meine Zukunft als Mechaniker, der in aller Herren Länder die Dampfmaschinen und Dieselmotoren der schon damals weltbekannten Winterthurer Werke montierte. Der Weg dahin wäre durch die Sekundarschule gegangen. Mir sagte der Plan zwar mächtig zu, aber als ich sah, dass meine nächsten Freunde alle das Gymnasium wählten, erfasste mich der Herdentrieb. Ich bestand die Aufnahmeprüfung an der heutigen Kantonsschule mit einiger Mühe, habe mich aber, sechseinhalb Jahre später, an der Maturitätsprüfung rehabilitiert.
«Ich fügte mich dem Wunsch meines Vaters und schrieb mich an der ETH als Maschineningenieur ein.»
Wir hatten einige hervorragende Lehrer, vor allem den klassischen Philologen Franz Fankhauser, der in mir eine mächtige Liebe zur vergleichenden Sprachwissenschaft weckte, und die früh verstorbene Emmy Weidenmann, die uns nicht nur in die englische Sprache, sondern auch in die Lebensweise der angelsächsischen Völker einführte. Beim Übertritt an die Hochschule wiederholte sich das alte Dilemma. Sollte ich Etymologie oder Anglistik, Physik oder Ingenieurwissenschaften wählen? Die heutige Generation mag darüber lächeln, aber ich fügte mich dem Wunsch meines Vaters und schrieb mich an der ETH als Maschineningenieur ein. Freilich fesselten mich an diesem Studium nur die präzisen theoretischen Grundlagen, wie die Mathematik, die von meinem nachmaligen Freund Walter Saxer gelesene Darstellende Geometrie und dann vor allem die Mechanik meines verehrten und weltweit bekannten Lehrers Ernst Meissner. Als es dann in den höheren Semestern zu den Anwendungen dieser Theorien mit all ihren wohl unumgänglichen, mir aber zutiefst widerstrebenden Unsauberkeiten und Kompromissen kam, verlor ich das Interesse und sattelte mit dem Segen meines Vaters zur Physik über, wo ich neben Paul Scherrer vor allem auch Wolfgang Pauli hörte und schliesslich mein Studium mit Erfolg abschloss.Parallel zum Studium geht in unserem Land bekanntlich der Militärdienst. Ich wäre gerne Pilot geworden. Hier stiess ich auf das entschiedene Veto meines Vaters, aber er liess mir in seiner grenzenlosen Grosszügigkeit die Wahl unter allen anderen Waffengattungen. «Wenn schon nicht Pilot, dann wenigstens Dragoner.»
Darauf habe ich wohl die grösste Unverschämtheit meines Lebens begangen, denn ich sagte: «Wenn schon nicht Pilot, dann wenigstens Dragoner». Ich gestehe freimütig, dass ich diese Frechheit, auch wenn ich mich später motorisieren liess, zeitlebens nicht bereut habe. Die Anfänge waren freilich hart. Wie viele herrliche Stunden habe ich aber seither im Sattel verbracht, wie manchen prächtigen Reiterkameraden kennengelernt, und wenn ich auch nie ein Psychologe war, so glaube ich doch, von der subtilen Harmonie, welche Pferd und Reiter zu einem einzigen Wesen verschweisst, wenigstens etwas gefühlt und genossen zu haben.
Mit dem Abschluss des Hochschulstudiums stellte sich die Frage der Berufswahl, und auch hier habe ich einen irrational erscheinenden Entscheid getroffen. Im geistreichelnden und dabei kühlen und von elitärem Bewusstsein durchdrungenen Kreise unserer Mathematiker und Physiker, dem ich nun auf Grund meiner Diplomurkunde angehörte, ist es mir zeitlebens nie recht wohl gewesen, und so fasste ich denn mit beiden Händen zu, als mir Ernst Meissner, den ich nicht nur als angewandten Mathematiker, sondern auch als integren und bei aller Strenge warmen Menschen verehrte, eine Assistenz für Mechanik anbot. So bin ich in gewissem Sinn schliesslich doch noch Mechaniker geworden. Schon nach einem Jahr verschafften Meissner und mein Vater mir die Gelegenheit, für zwei Jahre bei Richard Grammel in Stuttgart zu arbeiten und bei dieser Gelegenheit zu doktorieren. Damit bot sich nun auch die Möglichkeit zur Verbindung mit meiner lieben Erika Bühler, die ich vier Jahre zuvor kennengelernt hatte.
«... bot sich nun auch die Möglichkeit zur Verbindung mit meiner lieben Erika Bühler.»
Sie stammte aus einer Zürcher Kaufmannsfamilie mit Wurzeln im Bauernstand, und mit den zwei Stuttgarter Jahren, in denen wir ganz uns selbst gehörten, begann ein beglückendes und wohl selten harmonisches Zusammenleben, das in allmählichen Abständen durch die Geburt unserer Kinder Hansheinrich, Regula und Cornelia gesegnet wurde.
Im Frühjahr 1939 berief mich der damalige Schulratspräsident Arthur Rohn nach Zürich zurück, um – zunächst im Lehrauftrag und ab 1942 als Ordinarius – Ernst Meissners Nachfolge im deutschsprachigen Unterricht anzutreten. Im Zusammenhang mit dem Krieg waren die ersten Jahre zwar mächtig mit Aktivdienst durchsetzt. Aber auch das hat mich gefördert, durfte ich doch als Adjutant und Nachrichtenoffizier von Hans Bühler einem Herrn dienen, der diesen Namen im besten Sinne verdiente. Kavallerieregiments- und Brigadekommandant, war er ein verwegener Spring- und Militaryreiter, daneben Bildhauer und Fabrikant, äusserst streng in seinen Anforderungen und dennoch väterlicher Freund derjenigen, die er seines Vertrauens würdig erachtete. Um diese Zeit mussten wir, da die Familie anwuchs, nach einer neuen Wohnung Umschau halten. Wir fanden sie in Rüschlikon und bezogen dort einige Jahre später unser eigenes Haus, alt, unbequem, aber in selten ruhiger Lage und mit herrlicher Aussicht. Dass unser grossväterliches Haus am Stadtgarten in Winterthur, der «Sulzberg», der Familie kurz vorher verlorengegangen war, hat uns zeitlebens geschmerzt, und nur die tiefe Freundschaft mit dem früheren Kantonalbankdirektor Jakob Fischbacher, mit seiner feinfühligen Gattin und einem sie beide umgebenden weiteren Freundeskreis hat das Gefühl, im Grunde in der Fremde zu leben, schliesslich zu kompensieren vermocht. Von meiner beruflichen Laufbahn ist – trotz der 38 Jahre, während denen ich den grossen Mechanikkurs und manche Spezialvorlesung an der ETH betreute – nicht eben viel zu melden. Ich hatte meine stärksten Impulse stets von anspruchsvollen Lehrern und Vorgesetzten erhalten, und es ist daher kein Zufall, dass ich selbst als anspruchsvoller Lehrer gegolten habe. «Führungspositionen im wissenschaftlichen Getriebe haben mich ebenso wenig gelockt wie die militärischen.»
Führungspositionen im wissenschaftlichen Getriebe haben mich ebenso wenig gelockt wie die militärischen, vor allem wohl deshalb nicht, weil ich nicht das Zeug dazu hatte. Auch dem Austauschgeschäft mit wissenschaftlichen Ehrungen bin ich ausgewichen.
Mit 28 Jahren allzujung in die wissenschaftliche Laufbahn geworfen, hatte ich vor allem das Bedürfnis, mich in meinem eigenen Beruf zu bestätigen. So habe ich neben Lehrbüchern für die Studierenden an kleineren wissenschaftlichen Arbeiten einiges geschrieben, und wenn das alles in der Schweiz auch wenig beachtet worden ist, so hat mich doch die Resonanz des Auslandes stets wieder ermuntert. Neben dem Münchner Ehrendoktorat und einigen Hauptvorträgen an internationalen Tagungen waren die schönsten Ehrungen, die zudem noch den Vorteil hatten, auch meiner Familie zugute zu kommen, drei ganzjährige Gastprofessuren in den Vereinigten Staaten: die erste in Providence, dann die Jerome Clarke Hunsaker Professorship am MIT und schliesslich eine «Distinguished Visiting Professorship» an der Ohio State University.
Die Sommermonate haben wir jeweils in Kalifornien verbracht, und das gab uns die Möglichkeit, den Kontinent mit seinen endlosen Ebenen und den auf weite Strecken noch unverdorbenen Rocky Mountains auf den verschiedensten Routen zu durchqueren. In einer Blockhütte, die wir später in diesen Bergen gebaut haben, haben wir viele schöne Tage und dank einer Adjoint Professorship an der University of Colorado manche anregende Stunde verbracht.
«... dass mein Leben ein selten reiches und glückliches gewesen ist.»
Meine Erfahrungen in den Staaten hatten auch eine praktische Folge: aus meinem ursprünglich nach klassisch deutschem Konzept aufgebauten Lehrstuhl ist allmählich eine Fachgruppe und dann ein Institut mit weitgehend demokratischer Struktur geworden. Allen anarchistischen Tendenzen an der Hochschule bin ich aber mit der nötigen Voraussicht und Festigkeit und daher auch mit Erfolg entgegengetreten. Für mich fast ein kleines Wunder, wenn ich bedenke, mit welchem Lampenfieber ich in der ersten Zeit das Katheder betreten habe.
Ich übertreibe wohl kaum mit der Feststellung, dass mein Leben ein selten reiches und glückliches gewesen ist. Ein gnädiges Schicksal, das wir mit Gott oder mit den Göttern zu personifizieren lieben, hat mich wahrhaft verwöhnt und mit grosszügigen Eltern beschenkt, mit einer Lebensgefährtin, wie ich sie mir nachsichtiger und einfühlender nicht hätte wünschen können, und mit lieben und stets anhänglichen Kindern. Vor allem Dir, Erika, möchte ich von ganzem Herzen danken für all die Liebe, die ich während so vielen Jahren von Dir entgegennehmen durfte. Auch für die tapferen Worte, mit denen Du mich in ausweglos erscheinenden Situationen immer wieder aufgerichtet hast, und für Deinen weisen Rat, der uns ermöglicht hat, alle wichtigen Entschlüsse in vollem Einvernehmen zu fassen. Du bist mein guter Kamerad gewesen. Nimm dafür meinen ganzen Dank.
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